Kürzlich bin ich auf diesen wunderbaren XKCD Comic gestoßen, der sicherlich auch kontrovers disktuiert werden kann. Deutlich wird hier eine gewisse Rangfolge wichtiger Naturwissenschaften. Naturwissenschaften? Offensichtlich ja, denn wieso sollten wir Äpfel mit Birnen vergleichen und die Soziologie in einen unpassenden Kontext rücken. Halten wir uns an die Definition der Wikipedia, dann ist die Soziologie auch eine Naturwissenschaften, oder, anders ausgedrückt, eine Schnittstelle der Wissenschaften! Klasse, Schnittstellen sind immer gut, ist doch damit eine breite Auswahl an Methoden, Theorien, etc... sichergestellt.

Kommen wir auf den Comic zurück, so soll dieser die dargestellten Wissenschaften nach Reinheit ordnen. Stellt sich die Frage, was nun die Reinheit einer Wissenschaft bezeichnet. Leichter lässt sich dies beantworten, wenn wir das Pferd einmal von hinten aufzäumen und uns die Mathematik anschauen, die ja angeblich die höchste Reinheit aufweist. Warum ist dies so? Mathematik ist eine Wissenschaft, die sich fast ausschließlich auf das Nachdenken beruft und größtenteils ohne Empirie auskommt. Um etwa mit der Zahl "5" zu arbeiten, muss ich nicht erst Wälder und Steppen durchsuchen, bis ich endlich eine gefunden habe. Ja selbst das, was wir Zahlen nennen, sind ein reines Gedankenprodukt. Man wird nirgends eine "wildlebende Zahl" aufspüren können, da Zahlen nicht materiell sind, sondern nur gedankliche Konstrukte. Die Diskussion, was Zahlen eigentlich sind und wie man diese am besten auffasst, wollen wir an dieser Stelle mal verschieben...

Die Fundamente der Mathematik sind Axiome, die selbst nicht bewiesen werden können und daher willkürliche Festlegungen sind. Willkür in den Wissenschaften? Sogar in der Mathematik? Oh ja, anders geht es nicht, niemals. Dennoch kann man feststellen, dass die Zahl der verwendeten Axiome gering ist und der große große Vorteil ist, dass man quasi alles, was wir als Mathematik bezeichnen, aus diesen wenigen Festlegungen ableiten kann. Diese Festlegungen sind beispielsweise axiomatische Mengenlehren, wie etwa Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre. Solche Sätze sehen dann in der Fachsprache geschrieben kryptisch aus, sind jedoch sehr mächtig und wichtig. Allerdings ist diese Fachsprache wiederum durch die Prädikatenlogik erster Stufe ausgedrückt, die dem Teilgebiet der mathematischen Logik zugehörig ist. Und, diese Logik ist wiederum eine größtenteils willkürliche Festlegungen, die sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte als sehr sinnvoll erwiesen hat.

Wie dem auch sei, Mathematik ist deshalb sehr "rein", weil wenige Annahmen ausreichen, um darauf aufbauend eine sehr große Mengen an Schlüssen abzuleiten, die wir jeden Tag benutzen (wie etwa unsere Rechenregeln oder die Grundlagen der Informatik, ohne die es keine Computer gäbe). Zudem können wir Fragen meistens präzise beantworten. Manche Rechnungen führen zu einem exakten Ergebnis, andere lassen sich beliebig genau approximieren. Sätze können wir oftmals beweisen oder widerlegen. Seit Kurt Gödel wissen wir allerdings auch, dass selbst die Mathematik nicht perfekt ist. Dennoch lautet das Fazit: Reinheitsfaktor sehr hoch.


Kommen wir zur Physik. Wie bekannt sein dürfte, basiert die Physik zu großen Teilen auf der Mathematik, ist diese doch die "Sprache der Physik". Der große Unterschied ist allerdings, dass die Physik nicht nur gedanklich stattfinden darf, sondern wir zu mathematischen Sätzen Entsprechungen in der wirklichen Welt suchen müssen. Viele Dinge, die wir in der Mathematik voraussetzen, können wir nicht weder vorfinden noch anwenden. Unendlich kleine und große Dinge werden wir in diesem Universum wohl nicht finden, um nur ein kurzes Beispiel zu nennen. dennoch leistet uns die Physik gute Dienste. Wir haben in der Mechnaik Bewegungsgesetze gefunden, die uns relativ gut etwas darüber sagen, wie schnell ein Auto fahren kann, wo ein geworfener Ball landen wird, oder wie man einen Motor konstruiert. Wichtig ist hier das Wort relativ: während in der reinen Mathematik berechnen oft exakt oder beliebig genau sind, müssen wir hier in der physikalischen Wirklichkeit Abstriche machen. Selbst wenn wir annehmen, dass die von uns aufgestellten bzw. vorgefundenen Naturgesetze korrekt sind, können wir Vorgänge nie perfekt beschreiben oder vorhersagen. Störgrößen gibt es immer, denn um eine perfekte Vorhersage machen zu können, würden wir Informationen über alle Teilchen eines Systems benötigen. Da es aber in der Realität auch kein abgeschlossenes System gibt, sondern wir eigentlich nur unser Universum als ein solches System auffassen können, müssten wir für perfekte Vorhersagen Informationen über alle Teilchen des Universums haben. Autsch! Da wir über solches Wissen nicht verfügen, müssen wir uns wohl mit Annäherungen zufrieden geben.

Was wir uns noch einmal verdeutlichen sollten: der Sprung von der Mathematik zur Physik ist riesig und etwa viel größer als der Sprung von der Physik zur Chemie. Mathematik ist ein gedankliches, theoretisches System, während die Physik reale Objekte beschreibt, die wir sehen, hören und anfassen können. Gut, ganz mag das nicht stimmen, denn niemand hat jemals ein Atom gesehen oder ein Elektron erfühlt. Trotzem gehen wir davon aus, dass gewisse "Dinge" irgendwie "existieren", was auch immer das nun heißen mag (besonders, wenn man subatomare Partikel meint). Ist dieser große Graben zwischen Gedanken und Dingen erst einmal überbrückt, ist der Rest relativ langweilig. Irgendwie können wir alle folgenden Wissenschaften auch als Spezialgebiete der Physik auffassen. Immerhin beschreibt die Physik das Verhalten der (kleinen) Dinge und alle anderen Wissenschaften bauen auf diesen Dingen (etwa Atomen) auf. Trotzdem mag es sinnvoll sein, die anderen Wissenschaften auszugliedern, immerhin schafft dies Ordnung und System.


Die Chemie als Lehre von den Molekülen und deren Verbindungen ist daher für einen Physiker unglaublich langweilig bzw. eingeschränkt, ist es doch nur die Physik der äußersten Elektronenhülle (Valenzschale). Daher wollen wir die folgenden Gebiete jetzt auch nur knapp zusammenfassen. Die Moleküle und Verbindungen können wiederum miteinander reagieren und neue Stoffe hervorbringen, die aber wiederum alle nur aus Atomen bestehen können. Ab einem gewissen Punkt erreichen diese Systeme so hohe Grade von Komplexität, dass sie aus der Chemie ausgegliedert werden und von den Biologen untersucht werden. Die Biologie wiederum ist die Lehre vom Leben, seien es nun winzige Mikroben, Pflanzen oder Tiere. An einem gewissen Punkt scheint es, als ob die tote Materie in einen anderen Zustand wechselt und anfängt, zu leben. Konzentrieren wir uns dabei auf den Menschen als Tier, das für uns sicher am interessantesten ist, landen wir bei der Medizin bzw. Psychologie. Während sich die Medizin eher für die biochemischen und physiologischen Vorgänge interessiert, untersucht die Psychologie die Funktion des Gehirns, bzw. das Bewusstsein, das die"Blackbox" Gehirn hervorbringt. Von großer Bedeutung ist das auf jeden Fall, erklärt uns doch die Psychologie, wie und warum wir fühlen und handeln. Kommt es schließlich zur Interaktion, also dem Zusammenspiel vieler menschlicher Psychen, sind wir endlich bei der Soziologie angelangt.

Wir Soziologen müssen uns nun also gewissermaßen auf Psychologie, Biologie, Chemie, Physik und Mathematik stützen, um unsere Arbeit machen zu können. Das ist eine ganze Menge an Grundlagen, die das Fundament bilden. Aber betrachtet man es einmal von der anderen Seite, dann haben wir auch eine riesige Auswahl und unendliche Möglichkeiten! Die Mathematik erlaubt es uns, statistische Techniken anzuwenden, während uns die Psychologie verrät, wieso Menschen bestimmte Handlungen bevorzugen und andere eher meiden. Das fordert umgekehrt natürlich an die Soziologin und den Soziologen eine sehr breite und umfassende Bildung, um den Überblick zu behalten. Soziologie mag damit keine sehr reine Wissenschaft seine, eine sehr interessante hingegen schon.